Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) beim Treffen von Entscheidungen zur Personalauswahl, das Arbeitsmodell des Homeoffice oder die Erhöhung des Mindestlohns: all das sind Themen, die die Gesetzgebung und Rechtsprechung im Bereich des Arbeitsrechts derzeit prägen.
Dr. Ralph Hirdina, Professor für Arbeitsrecht und Wirtschaftsprivatrecht an der Fakultät Wirtschaft und Recht, lehrt bereits seit fast 25 Jahren an der Technischen Hochschule. Mit einem umfangreichen Hintergrund in Rechtswissenschaften und seiner langjährigen Erfahrung in der akademischen Lehre bietet Professor Hirdina in seinen Vorlesungen wertvolle Einblicke in die komplexen Fragen und Herausforderungen, die sich im modernen Arbeitsumfeld ergeben.
Im Interview mit Wirtschaftspsychologie-Studentin Hanna Möllenbrock sprach er über aktuelle Entwicklungen des Arbeitsrechts und die praxisorientierte Gestaltung seiner Vorlesungen in diesem anspruchsvollen Fachgebiet.
- Herr Professor Hirdina, was hat Sie dazu bewogen, sich auf das Gebiet des Arbeitsrechts zu spezialisieren?
Das Arbeitsverhältnis ist für viele Menschen die wirtschaftliche Lebensgrundlage. Arbeiten ist meist auch Sinnerfüllung und ermöglicht es Menschen soziale Kontakte zu knüpfen. Ohne Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer funktioniert weder die Privatwirtschaft noch der öffentliche Sektor. Die Arbeitswelt, mit der sich das Arbeitsrecht befasst, ist, wenn man so will, ein zentraler Kitt der Gesellschaft. Zudem ist das Arbeitsrecht besonders geprägt vom Aspekt des gerechten Ausgleichs zwischen Arbeit und Kapital. Arbeitsrecht ist daher ein äußerst gesellschaftspolitisches Recht. Das macht es so spannend.
- Welche Aspekte dieses Rechtsbereiches faszinieren Sie besonders?
Man ist immer wieder erstaunt, wie zahlreich die Variationen der Beschäftigung sind. Man betrachte nur die unbefristete oder befristete Beschäftigung, aber auch die verschiedenen Teilzeitmodelle. Warum werden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Azubis, Praktikantinnen und Praktikanten, Zeitarbeitskräfte arbeitsrechtlich teilweise unterschiedlich behandelt? Mit welchen arbeitsrechtlichen Tools kann der Arbeitgeber belohnen und sanktionieren? Was sind die zentralen Funktionen eines Betriebsrates und welche Regeln gelten für den Streik? Alles faszinierende Fragen, wie ich finde.
- Welche Entwicklungen oder Veränderungen sehen Sie aktuell im Bereich des Arbeitsrechts?
Die Arbeitswelt 4.0 bringt erhebliche Umwälzungen für den Arbeitsalltag. Aktuelle Entwicklungen sind Fragen im Zusammenhang mit dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Personalarbeit und im Arbeitsalltag der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, auch Remote Work, Homeoffice-Tätigkeit, Work-Life-Balance, Bindung von älteren Arbeitnehmenden über das Renteneintrittsalter hinaus mit Blick auf die Demografie und den Fachkräftemangel, Digitalisierung der Prozesse in der Personalarbeit.
- Welche Forschungsthemen im Arbeitsrecht halten Sie in der aktuellen Zeit für besonders relevant?
Ein zentrales Forschungsthema ist mit Blick auf die jüngsten Streiks die Frage, ob Deutschland ein Streikgesetz braucht und wie es gestaltet sein müsste, dass es verfassungskonform ist. Ich stehe einer solchen Regelung zurückhaltend gegenüber. Der deutsche Staat zieht in vielen Feldern den Ordnungsrahmen zu eng. Freiheitliche Demokratie bedeutet Diskussion über den besten Weg und Lösungsfindung durch Ausprobieren innerhalb eines weit gesetzten Ordnungsrahmens. Wie will man die Frage der Verhältnismäßigkeit von Streikaktionen gesetzlich regeln? Weiß das der Gesetzgeber wirklich?
- Gibt es derzeit Projekte oder Forschungsthemen, an denen Sie beteiligt sind?
Ich habe jüngst mein Lehrbuch Arbeitsrecht in der 6. Auflage veröffentlicht. Das Werk richtet sich an Studierende sowie Personalerinnen und Personaler in der Praxis. Zudem bin ich Mitglied im Aktionskreis Stabiles Geld, in welchem sich ehemalige Notenbankbeschäftigte zusammengeschlossen haben, um sich mit Forschungsfragen auf dem Gebiet der Geldpolitik zu befassen. Auch für die Geldpolitik spielen arbeitsrechtliche Themen eine zentrale Rolle. Fachkräfteknappheit und die jüngsten Tariflohnerhöhungen im zweistelligen Prozentbereich haben das Zeug, die Inflation hoch zu halten oder immer wieder aufkeimen zu lassen. Alles hängt eben mit allem zusammen.
- Wie schätzen Sie die zukünftige Entwicklung des Arbeitsrechts vor dem Hintergrund neuer Arbeitsmodelle wie Homeoffice, Remote-Work, aber auch dem Einsatz von künstlicher Intelligenz ein?
Die von Ihnen angesprochenen Entwicklungen haben den Gesetzgeber bereits auf den Plan gerufen oder werden es noch tun. Beispielsweise gibt es im Betriebsverfassungsgesetz schon Regelungen für die Beteiligung des Betriebsrates beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz bei Personalauswahlentscheidungen. Die Diskussion über einen gesetzlichen Anspruch auf Homeoffice-Arbeit ist angestoßen. Auch wird immer wieder mit Blick auf moderne Arbeitsformen eine Reform des Arbeitszeitrechts gefordert. Außerdem stellt sich mit Blick auf den in Fahrt kommenden Digitalisierungsprozess in der Personalarbeit zunehmend die Frage, an welchen Schriftformvorschriften im Arbeitsrecht nicht mehr festgehalten werden sollte, um die Papierform obsolet zu machen.
„Ich versuche das Arbeitsrecht so zu vermitteln, dass die Studierenden später in der Berufspraxis arbeitsrechtliche Fragen professionell und gerichtsfest bearbeiten können.“
- Wie ist Ihr Umgang mit künstlicher Intelligenz in Ihren Lehrveranstaltungen? Sehen Sie diese als Bereicherung oder als Herausforderung?
Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz wird im Hochschulalltag zunehmend in der Lehre und bei der Erstellung von Seminar- und Bachelor-/Masterarbeiten eine Rolle spielen. Aus meiner Sicht ist dies eine Bereicherung, fordert aber auch eine andere Herangehensweise bei der Vermittlung von Lehrstoff sowie anders gestaltete Themenstellungen für Seminar- und Abschlussarbeiten.
- Welche Schwerpunkte setzen Sie in Ihrer Lehre im Bereich des Arbeitsrechts?
Ich versuche das Arbeitsrecht so zu vermitteln, dass die Studierenden später in der Berufspraxis arbeitsrechtliche Fragen professionell und gerichtsfest bearbeiten können. Die Studentinnen und Studenten sollen die Kompetenz erwerben, das Arbeitsrecht gestalterisch wie einen Instrumentenkasten zu nutzen.
- Woraus schöpfen Sie die vielen wertvollen Fallbespiele, die Ihre Vorlesungen so anschaulich machen?
Arbeitsrecht ist eine anwendungsbezogene Wissenschaft. Das Leben ist voller Geschichten, auch im Arbeitsleben. Man muss die Geschichten aus dem Arbeitsleben, aber auch die Sachverhalte aus den veröffentlichten Gerichtsentscheidungen aufsaugen und in der Vorlesung arbeitsrechtlich verständlich aufbereiten.
- Was empfehlen Sie Studierenden, die sich mit juristischen Themen eher schwertun, um leichter einen Zugang zu diesem Bereich zu finden?
Zugang zum Recht finden Studierende nicht durch Auswendiglernen. Die Rechtsordnung und die Rechtsgebiete haben eine logische und systematische Struktur. Zudem muss man ergründen, was ist Sinn und Zweck einer Regelung (teleologische Auslegung einer Rechtsregel). Wenn man diesen Zugang zum Recht findet, hat man sicher bald Spaß an juristischen Themen.
Vor Kurzem ist die 6. Auflage von Prof. Dr. Ralph Hirdinas Buch "Arbeitsrecht" erschienen. In diesem Lehr- und Fallbuch vermittelt Hirdina die prüfungs- und praxisrelevanten Themenfelder des Individual- und Kollektivarbeitsrechts. Die Neuauflage greift auch aktuelle Entwicklungen im Arbeitsrecht auf wie die Erhöhung des Mindestlohns, die gendergerechte Bezahlung, die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung oder den Einsatz von künstlicher Intelligenz in der Personalarbeit.